Beitrag zur AF in IF-16-2

Additive World Conference 2016 in Eindhoven

Wo steht die Additive Fertigung: Hype oder Disruption? - Trends und State of the Art

Vom 22.3.-24.3.2016 fand in Eindhoven, NL, die vierte internationale Additive World Conference statt. Experten aus Wissenschaft, Design und Industrie referierten über neueste Forschung, Trends und industrielle Lösungen. Gemessen am aktuellen Hype um die additive Fertigung diskutierte die weltweite Community überraschend direkt, erfrischend und engagiert über aktuelle Lösungen und Marktentwicklungen. Die additive Fertigung ist in der Industrie angekommen und geht jetzt in die Serienfertigung. Die Herausforderungen werden dabei in Zukunft eine akzeptable Wiederholbarkeit der Prozesse und die Zuverlässigkeit des Produkts sein.

High-Tech-Campus Eindhoven

Der Konferenzort in Eindhoven im Fünf-Ländereck NL, B, F, LU und D war durchdacht gewählt, um ein internationales Publikum zum High-Tech- Campus zu locken. Hier entstehen jeden Tag im Durchschnitt 4 Patente. Zudem werden in der Region Brabant fast 40 % aller niederländischen Patente angemeldet. Die Vorträge1 deckten das breite Spektrum der Additiven Fertigung mit Kunststoffen, Keramik und Metallen ab. Insbesondere die Metalle nahmen aufgrund der neueren Entwicklungen einen breiten Raum ein.

Konstrukteure

Vorgestellt wurden die industrienahen Bachelor- und Masterstudiengänge an der FONTYS University of Applied Science Eindhoven. Der funktionsbasierte Konstruktionsansatz der additiven Fertigung führt zu einer disruptiven Entwicklung bei den Konstrukteuren. Der herkömmliche Ausbildungsberuf, in dem die Designeinschränkungen durch die Fertigungstechnik vermittelt werden, erübrigt sich durch die Designfreiheit in der additiven Fertigung.

Embedded Sensor

In der Praxis angekommen sind integrierte Sensoren, welche durch die additive Fertigung ohne zusätzlichen Montageschritt direkt in Multimaterialtechnik additiv in ein Bauteil integriert werden. Die INSPIRE AG zeigte anhand eines Temperatursensors in einer Verschleißanwendung die Vorteile der Funktionsintegration, da die Temperatur direkt am Ort der Entstehung gemessen werden kann.

Werkzeugkühlung

Das Laib- und Ma(r)gengeschäft der additiven Fertigung liegt aktuell noch in der Luftfahrt und in der Medizintechnik, aber auch Werkzeuge mit Kühlkanälen kommen zurzeit in die industrielle Anwendung. Der 3D-Druck im Metallpulververfahren ermöglicht die Konstruktion feinster Kühlkanäle in metallischen Spritzgusswerkzeugen, welche in nächster Nähe zum fertigen Bauteil für eine gleichmäßige Abkühlung sorgen und ein deutlich homogeneres Produkt vor allem bei komplexen Bauteilen ermöglichen. Prozesszeiten konnten so in der LEGO-Fertigung um 20 % reduziert werden.

Supertransistor

Die Universität Nottingham forscht an einfach, schnell und kostengünstig mit Polymertinten druckbaren Elektronikbausteinen wie Kondensatoren. Äußerst interessant ist ein druckbarer Supertransistor, der durch die chemische Reduktion von Graphenoxid hergestellt wird. Hier sind weitere sehr erfolgversprechende Entwicklungen zu erwarten, welche durchaus dazu geeignet sein können, die zumeist in Schwellenländer verlegte Elektronikproduktion zurück nach Europa zu holen.

Metalle & Serienfertigung

Aus deutscher Sicht ist die laserbasierte additive Fertigung von Metallen besonders interessant, da 80 % der industriellen 3D-Drucksysteme aus dem hier traditionell starken deutschen Maschinenbau stammen. Das selektive Laserschmelzen von Metallen erlaubt den schichtweisen Aufbau von mechanisch sehr belastbaren Bauteilen als Serienfertigung. Die Stückzahlen der verkauften Drucker sind mit weltweit insgesamt 140 000 Stück in 2014 eher gering, allerdings zeigt das exponentielle Wachstum (66 Stück in 2007), wohin die Reise geht. (Abb. 1 und 2)

Modulare Automatisierung

Einen deutlichen Schub in der Fertigung von metallischen Bauteilen gibt ein automatisiertes modulares Industriesystem für den 3D-Druck von Metallen, dessen technische Details durch den Technischen Direktor Mark Vaes von ADDITIVE INDUSTRIES B.V. für die Beta-Serie vorgestellt wurden. Die Industrialisierung mit automatisierten flexiblen Modulen für Steuerung, Prozesskontrolle, Teilehandling, Lasertechnik und -kalibrierung, Fluidtechnik, Pulverhandling und -recycling, Wärmebehandlung und Bauteilentnahme erlaubt eine vollautomatisierte Produktion über eine Woche. Die Optimierung der Zuverlässigkeit und Wiederholbarkeit haben die Entwickler ständig im Blick. Die Kombination von additiver Fertigung mit Industrie 4.0 ist gewollt.

Software-Professionalisierung

In den Vortragsdiskussionen äußerte die Fachwelt durchgängig den Wunsch, dass sich einer der großen Hersteller der Aufgabe annehme, die vielen kleinen Softwaretools im Dunst der Additiven Fertigung zusammenzufügen. Hierdurch erscheint der längst überfällige Schritt in die Serienfertigung realistisch.

Software & Serienfertigung

Erfreuliche Entwicklungen bei den Druckersteuerungen mit Ansätzen zur Regelung und insbesondere deutliche Fortschritte in den Rechenalgorithmen zur Topologieoptimierung und zur Druckprozesssimulation komplettieren die Voraussetzungen für ein kombiniertes Finite-Elemente-Berechnungs- Modul (FEM) zum selektiven Laserschmelzen (SLM). Dieses könnte mit üblichen CAD-Lösungen für die thermomechanische Simulation kombiniert werden. Eine ähnliche Entwicklung hatte es früher in der Schweißtechnik gegeben. Heute ist es dort in einem einzigen Softwaretool möglich, den Schweißprozess zu simulieren, anhand dieser Daten den Laserschmelzprozess vollständig abzubilden und in einer rückgekoppelten Regelung die Laserleistung und das Schmelzergebnis in-line innerhalb des Fertigungsprozesses zu optimieren.

Topologieoptimierung

Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, wie man die ressourcenfressenden Stützstrukturen vermeiden könnte. Die TU Delft führte hierfür anschaulich in die Topologieoptimierung für das selektive Laserschmelzen ein, welche herkömmliche Stützstrukturen während des Druckens obsolet macht. Zunächst wird die Teileorientierung im Druckraum optimiert. Dann wird ein kritischer Überhangwinkel der aufliegenden Schmelze von Druckschicht zu Druckschicht über finite Dichte-Elemente definiert. Im Rahmen der Diskretisierung bzw. Elementierung werden Elemente abgegrenzt, die mit ihrer Dichte als Stützelemente wirken. In der darüber liegenden Schicht müssen sich die nächsten aufgeschmolzenen Partikel mit ihrer Dichte abstützen lassen können. Mittels eines Optimierungsalgorithmus wird schlussendlich die aus mechanischer Sicht optimale Teilegeometrie in der Prozesssimulation als Blaudruck berechnet. Dann wird die ausgefranst anmutende Struktur für die Optik gegebenenfalls geglättet. Am Ende stützt sich das Bauteil während des Druckens in sich selbst ab. Eine Stützstruktur ist nicht mehr erforderlich.

Qualitätssicherung

Als notwendig wurde von vielen Rednern beim Schritt in die Serienfertigung die Berücksichtigung der Qualitätssicherung genannt. Durch fehlende Normen für den Stand der Technik und hohe ppm-Ausfallraten (parts per million), welche oft durch (noch) kleine Stückzahlen bedingt sind, ergibt sich aktuell ein teilweise unbekanntes Produktsicherheitsrisiko. Die üblichen Ansätze mit Prototypenprüfungen, Feldtests und lebensdauerbegleitenden Dauerprüfungen beim Hersteller funktionieren in der additiven (Einzelteil-) Serienfertigung nicht. Dies gilt ebenso für Einzelteil-Zertifikatsprüfungen, welche aus wirtschaftlicher Sicht oft ausscheiden. Stattdessen gewinnt die Dokumentation der Fertigungsparameter an Bedeutung, inklusive wissensbasierter Definition von Parametergrenzen, welche über die Lebensdauer des Bauteils die Produktsicherheit garantieren.

Qualitätsmanagement

Beim Qualitätsmanagement kommt der additiven Fertigung das neue risikobasierte Konzept der ISO 9001:2015 zu Gute. Anstatt während der Produktentwicklung alle möglichen Risiken vollständig zu rastern und gegebenenfalls exemplarisch zu prüfen, erlaubt die neue ISO 9001: 2015 zunächst reale Risiken vorab zu definieren und diese dann mit geeigneten Methoden zu prüfen. Im Rahmen der Normungsarbeit können spezifische Methoden definiert werden, mit denen für die Serienfertigung die Produkthaftung und -sicherheit trotz Einzelteil-Serienfertigung unter vertretbarem Aufwand gewährleistet ist.

Prüfmethoden

In der Serienfertigung von Einzelteilen kommen zerstörungsfreie Prüfmethoden zum Einsatz. Insbesondere KMU werden sich allerdings keinen Computertomographen leisten können, welcher heute in der Qualitätskontrolle weit verbreitet ist. Die Diskussion über typische Schadensbilder in der additiven Fertigung führte den Zuhörern den hier noch alltäglichen Kontrast auf dem Weg von der Forschung in die Industrialisierung vor Augen.

Kunst

Additive Fertigung ermöglicht eine sehr hohe Kreativität bei der Gestaltung individueller Produkte ohne Designeinschränkungen. Der Künstler Janne Kyttanen fasste sein Motto für die additive Fertigung auf erfrischende Weise zusammen: Auf die Frage „What is innovation?“ antwortete er: „Do, what not makes sense!“. Hiermit legt er seinen Finger provozierend und überspitzt in die offene Wunde der herkömmlichen Konstruktionsmethoden und der hierarchischen Führungskultur.

Zusammenfassung

Die additive Fertigung mit dem selektiven Laserschmelzen im 3D-Druckverfahren befindet sich insbesondere bei den metallischen Bauteilen auf dem Weg in die Industrialisierung. Von Hype zu sprechen, wird den aktuellen Entwicklungen nicht mehr gerecht. Heute nicht wegzudiskutierende Herausforderungen bestehen weniger in der Technik selbst, als in der Peripherie wie Prozessbeschleunigung durch Automatisierung, Kombination von Softwaretools und Verfügbarkeit von Werkstoffen, aber auch die Qualitätssicherung mit Prüfmethoden und Standardisierung. Disruptive Entwicklungen in der Ausbildung der Konstrukteure sind dagegen offensichtlich.

  • Dr.-Ing. Beate Heisterkamp